Unterwegs mit Busfahrer Uwe Barz (Teil 2)
Um 13:34 Uhr dann das Unfassbare: Der Bus steht an der Haltestelle Stankeitstraße, Busfahrer Uwe Barz betätigt das Warnblinklicht. An einem Bus, der mit eingeschaltetem Warnblinklicht an einer Haltestelle steht, darf nur mit Schrittgeschwindigkeit, also höchstens mit vier bis sieben km/h, vorbeigefahren werden – und zwar aus beiden Richtungen! So will es die Straßenverkehrsordnung.
Ein junges Mädchen steigt aus der mittleren Tür des 170ers aus. Sie hört Musik und trägt In Ear-Kopfhörer. Sie läuft am Bus vorbei, um vor dem Bus die Straße zu überqueren. Hinter dem Bus allerdings rauscht ein LKW heran. Er muss doch das Warnblinklicht sehen! Aber er fährt alles andere als Schrittgeschwindigkeit.
Uwe sieht den LKW im Seitenspiegel kommen und drückt instinktiv zweimal auf die Hupe. Das hört das Mädchen auch trotz der Kopfhörer und bleibt wie angewurzelt stehen. Auch der LKW-Fahrer checkt, warum der Busfahrer hupt und steigt auf die Bremse. Der LKW kommt gerade noch auf Höhe des Busfahrerfensters zu stehen und die Schülerin ist Gott sei Dank stehengeblieben.
Busfahrer Uwe Barz rettet dem Mädchen das Leben
Ich atme schwer aus und schaue Uwe ungläubig an. Das Mädchen indes überquert die Straße und der LKW trollt sich von dannen. Keine Anerkennung seitens des Mädchens oder des Brummifahrers. Aber ich danke Uwe. Er hat dem Mädchen gerade das Leben gerettet. So ganz nebenbei. Unglaublich.
Beeindruckt von diesem Erlebnis vernehme ich die Fahrt wie im Rausch. Erst als wir die Stauder-Brauerei passieren, verspüre ich zum zweiten Mal das Bedürfnis auszusteigen. Auf diesen Schreck ein Helles, das wär’s jetzt. Beim Ausstieg an der Haltestelle Meerkamp überqueren erneut zwei Mädchen mit Kopfhörern vor dem Bus die Straße. Zumindest schauen sie, ich bin beruhigt. Mit 5,5 Minuten Verspätung erreichen wir die Haltestelle Matthias-Erzberger-Straße. Ich bin darüber verwundert, dass es nicht deutlich mehr Verspätung ist: die ganzen Schüler, der Verkehr, der Fast-Crash des LKW. In Nähe der Rodenseelstraße halte ich das Handy ans Fenster und fotografiere die tolle Aussicht.
Am Brüninghofer Weg stehen zwei Typen an der Haltestelle. Der eine mit Dreitagebart und leicht verschlagenem Aussehen, der andere mit kurz rasierten Haaren und Stiernacken. Stiernacken macht sich gar nicht erst die Mühe, den kontrollierten Vordereinstieg zu praktizieren und nimmt die zweite Tür. Der andere Kerl steigt vorne ein. Er zeigt Uwe dreisterweise kein Ticket vor. Uwe fragt aber auch nicht nach. Würde ich an seiner Stelle allerdings auch nicht tun. Die Jungs sehen so aus, als würden sie keinen Spaß verstehen. Hier geht die eigene Sicherheit vor
Schwarzfahrer oder nicht Schwarzfahrer – das ist hier die Frage
Für mich steht fest: wir haben es mit zwei Schwarzfahrern zu tun. So schleicht niemand sonst am Fahrer und am Vordereinstieg vorbei! Es macht mich wütend, dass die Typen sich so rotzfrech die Beförderung erschleichen wollen. Plötzlich dreht sich „der Verschlagene“ zu mir um, als hätte er meine Gedanken gelesen. Eindringlich schaut er mich an: „Fahrscheinkontrolle – einmal ihr Ticket bitte!“ Ich bin völlig perplex. Kontrolleure? Das hätte ich nie vermutet! Ich schaue zu Uwe herüber, der sich vor Lachen kaum noch halten kann. Mit Tränen in den Augen genießt er die Situation, in welcher er mich so richtig hat auflaufen lassen. Auch mein Mit-Passagier auf dem Einer direkt hinter dem Fahrer muss über mein verdutztes Gesicht lachen. Ich lache auch, fühle mich aber gleichermaßen ertappt.
Der Mensch neigt anscheinend schnell zu Vorurteilen. Ich habe die beiden „Kanten“ nach ihrem Aussehen beurteilt. Mein Urteil hatte ich ziemlich (vor)schnell gefällt. Umso mehr freue ich mich, dass die Jungs „zu den Guten“ gehören und ich das Thema Vorurteile mal selbst erfahren und erlebt habe. Ich schäme mich sogar ein wenig für meine Gedanken. Andererseits vergeht die Fahrt dadurch wie im Flug.
An der Haltestelle Zweibachegge haben wir nur noch zweieinhalb Minuten Verspätung. Uwe kommt gut durch. Dann erreichen wir Steele (S). Ich fühle mich etwas gerädert nach knappen drei Stunden (Mit-)Fahrt. Uwe Barz kommt ziemlich relaxt daher. Er freut sich auf ein kleines Päuschen, dann muss er noch zwei Runden auf der 142 fahren. Feierabend hat er um 20:08 Uhr.
Alter Falter, das ist ein ganz schöner Knochenjob. Mein Respekt gegenüber den Kolleginnen und Kollegen aus dem Fahrdienst war stets vorhanden. Aber, und das muss ich zugeben, er ist nach dieser Fahrt nochmals deutlich gestiegen. Allzeit gute Fahrt!