Unterwegs mit Busfahrer Uwe Barz (Teil 1)
Essen im Herbst 2015. Ich bin Ansprechpartner in den sozialen Medien der EVAG für Kritik und Lob. Oft entschuldige ich mich im Namen des Unternehmens für Unannehmlichkeiten und versetze mich dafür in den Kunden hinein, um zu verstehen, was ihn ärgert. Aber seltener betrachte ich Situationen aus dem Blick unserer Fahrerinnen und Fahrer. Das will ich ändern, um ein besseres Gespür für den Job des Busfahrers zu bekommen. Ich möchte wissen, wie das Fahrpersonal den Berufsalltag erlebt
Aus diesem Grund habe ich mich mit Uwe Barz verabredet. Ich darf ihn auf seiner knapp dreistündigen Tour auf der Linie 170 von Steele (S) nach Borbeck und zurück begleiten. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich allerdings noch nicht, dass der 54-Jährige zum Lebensretter wird. Doch der Reihe nach …
Uwe fährt seit 24 Jahren für die Essener Verkehrs-AG Bus und ist ein alter Hase „auf dem Bock“. Heute ist er auf der 170, Kurs 7 unterwegs. Es ist 11:33 Uhr – Uwe löst einen Kollegen ab und richtet sich seinen Arbeitsplatz ein. Dann steht er plötzlich auf. Ich frage ihn, was er vorhat. „Ich checke den Wagen von innen auf Beschädigungen und Fundsachen“, entgegnet er mir routiniert. Dann verlässt er kurz den Bus und schaut nach, ob er auch von außen einwandfrei ist. Die Räder sollten schon okay sein, wenn man losfährt.
Schichtbeginn für Busfahrer Uwe Barz
Pünktlich um 11:38 Uhr starten wir von Steig 10 ab Steele (S). Der eine oder andere Kollege wird bei der Abfahrt noch kurz per Handzeichen gegrüßt, dann geht es los. Eine Haltestelle und vier Minuten später will Uwe die Haltestelle Ahestraße anfahren. Dort hat sich allerdings ein PKW breitgemacht. Als der den Bus im Rückspiegel erkennt, trollt er sich lieber.
Ich habe mir natürlich einen Markttag aussuchen müssen für die Mitfahrt. Am Dreiringplatz steigen über 20 Fahrgäste zu. Uwe schließt die Türen und hält plötzlich kurz nach dem Anfahren nochmals an. Drei weitere Fahrgäste rennen in Richtung Haltestelle. Die Bustür vorne geht auf, kontrollierter Vordereinstieg, alles klar! Obwohl so viele Leute zugestiegen sind, empfinde ich den Geräuschpegel als absolut angenehm. Ab und an bimmelt ein Handy.
Um 11:53 Uhr passieren wir die Haltestelle Luttropp. Es wird ländlicher. Wir lassen Felder und Höfe an uns vorbeiziehen. „Schön!“, denke ich mir. „So lässt es sich aushalten.“ Vor der Haltestelle Sulzbachtal verschlechtern sich plötzlich die Straßenverhältnisse. Der Bus scheppert und dröhnt, Uwe senkt das Tempo. Auf dem Brüninghofer Weg stehen Autos aus meiner Sicht ziemlich ungünstig im Weg. Uwe ist das egal und lenkt den Bus cool über die Straße. Ich muss zugeben, dass es mir als Laien schwerfällt die Breite des Busses und die Breite der Straße ins richtige Verhältnis zu setzen.
An der Ottostraße kommt Uwe Barz endlich dazu den vorderen Ticketentwerter mit einem Aufkleber zu versehen. Dieser ist nämlich defekt. Einige Fahrgäste versuchen immer wieder ihr Ticket davor zu halten. Der Fahrer macht sie darauf aufmerksam, dass der Apparat defekt ist. Boah, die Ottostraße. Die besteht aus Kopfsteinpflaster. Der Bus dröhnt und wird durchgerüttelt. Ich sitze ganz vorne auf dem harten Sitz und merke meinen Rücken. Spontanreflux gesellt sich auch dazu. Mit einem Ohr bekomme ich die Unterhaltung zweier älterer Damen mit, die sich über Geranien und Joghurtkulturen unterhalten – was für eine Mischung. Als wir die „Weinzeche“ auf der Rotthauser Straße passieren, verspüre ich erstmals den Drang auf ein gutes Tröpfchen aussteigen zu wollen. Am Karl-Meyer-Platz steigen Schüler hinzu. Alter, man versteht kaum noch sein eigenes Wort. Ich blicke zu Uwe hinüber. Meditiert der? Uwe scheint das alles gar nicht wahrzunehmen und wirkt wie die Ruhe in Person. An der Haltestelle Zollverein Nord Bf. werde ich Zeuge eines rührenden Gesprächs zwischen einer älteren Dame und einer jungen Frau, die ihr spontan ihren Sitzplatz anbot. Am Katernberger Markt möchte eine weitere ältere Dame zusteigen. Tut sie aber nicht. Stattdessen kramt sie in aller Seelenruhe draußen vor dem Bus ihr Ticket raus. Der Gelenkbus ist jetzt pickepackevoll. Uwe macht eine Durchsage und bittet darum, die Türen freizumachen.
Die Tücken des Alltags
Die Victoriastraße ist zugeparkt. Die PKW und der Bus kommen nicht aneinander vorbei. Rücksichtsvolle Autofahrer nutzen eine Parkbucht und lassen uns zuerst fahren. Dann wird es plötzlich brenzlig: auf der Stauderstraße, kurz vor der Haltestelle Stankeitstraße, zieht ein Lieferwagen rückwärts aus einer Einfahrt raus. Uwe muss stark abbremsen, bleibt aber ruhig. Der Lieferwagen fährt an und bremst plötzlich erneut ab, um rechts in eine Parklücke zu fahren, natürlich ohne Blinker. Ich koche vor Wut. Uwe nicht. Er schüttelt nur kurz genervt den Kopf und fährt weiter. Die Tücken des Alltags eben.
Altenessen Mitte: eigentlich ist der Bus ziemlich leer, die Fahrgäste stehen allerdings alle im Türbereich. Warum bleibt mir ein Rätsel. An der Haltestelle Kleinstraße kommt eine Frau aus dem mittleren Bereich des Fahrzeugs vorne an die Fahrertür und stellt sich demonstrativ an die erste Tür. Soll wohl heißen: „Fahrer, ich will an der nächsten Haltestelle raus!“ Ich denke: „Wer spricht, dem kann geholfen werden.“
Im Bereich der Haltestelle Sulterkamp finden wir erneut rumpelige Straßenverhältnisse vor. Der Gelenkbus schaukelt und wackelt. Es kommt mir so vor, als würde unser Busfahrer mit seinem Gefährt brettern ohne Ende, dabei fährt er gerade 40 km/h. So schnell kann man sich täuschen. An der Heegstraße stellt sich ein Fahrradfahrer mit seinem BMX-Bike an die Vordertür. Er setzt sich auf sein Rad und es schaut so aus, als wolle er aus dem Bus fahren. Uwe macht ihm verbal einen Strich durch die Rechnung.
Mit knapp 5-minütiger Verspätung erreichen wir die Endhaltestelle Borbeck Bf. Uwe bleiben jetzt nur noch 10 Minuten an Wendezeit. Ich frage ihn, wie er bei diesem Lärm und diesen Verkehrszuständen so entspannt bleiben kann. „Ich fahre total gerne mit dem Bus und kann hier komplett abschalten. Um ehrlich zu sein, nehme ich den Schülerlärm gar nicht mehr wahr.“ Wow, ich könnte es nicht.
Tarik, halt ma Platz frei, yallah!
Wir sind schon auf dem Rückweg nach Steele. An der Haltestelle Altenessen Mitte höre ich wie ein einsteigender Schüler seinem Kollegen, der vor ihm in den Bus rennt, zuschreit: „Tarik, halt ma Platz frei, yallah!“ Ich muss schmunzeln.
Um 13:34 Uhr dann das Unfassbare: Der Bus steht an der Haltestelle Stankeitstraße, Uwe betätigt das Warnblinklicht. An einem Bus, der mit eingeschaltetem Warnblinklicht an einer Haltestelle steht, darf nur mit Schrittgeschwindigkeit, also höchstens mit vier bis sieben km/h, vorbeigefahren werden – und zwar aus beiden Richtungen! So will es die Straßenverkehrsordnung.
Ein junges Mädchen steigt aus der mittleren Tür des 170ers aus. Sie hört Musik und trägt In Ear-Kopfhörer. Sie läuft am Bus vorbei, um vor dem Bus die Straße zu überqueren. Hinter dem Bus allerdings rauscht ein LKW heran. Er muss doch das Warnblinklicht sehen! Aber er fährt alles andere als Schrittgeschwindigkeit …
Im zweiten Teil unserer Busfahrer-Reportage am kommenden Dienstag erfahrt ihr dann, wie diese brenzlige Situation ausgegangen ist und was Uwe (und ich) sonst noch auf der Fahrt mit der 170 erleben.
Eine interessante Geschichte endet am Höhepunkt, so wie diese hier.
Vielleicht könnt ihr Teil zwei direkt verlinken? Jetzt muss ich diesen suchen.