EVAG-Stellwerk: Weichenstellung und Signalschaltung per Mausklick
In der EVAG-Leitstelle, der Herzkammer des Essener Nahverkehrs (habe ich schon mal so bezeichnet), bin ich am frühen Donnerstagmorgen verabredet – allerdings dort im Zentralstellwerk und zufällig mit Dirk Wiaczka, denn er hat Dienst. Mit Dirk war ich schon im Funkwagen unterwegs, für einen Blog-Artikel Unterwegs mit der Verkehrslenkung.
Heute geht’s um das Zentralstellwerk. Und ich darf den Stellwerkern bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen.
Dirk ist Verkehrsmeister und arbeitet bei der Verkehrslenkung. Er ist auch Ausbilder für Stellwerker und hat zwei Azubis bei sich, Thomas und Lars. Beide haben ihre Ausbildung auf dem Funkwagen abgeschlossen und sind nun für etwa neun Wochen bei Dirk im Einsatz, bevor sie ihre Prüfungen ablegen, um sich zu qualifizieren.
Ein Stellwerker ist ein Verkehrsmeister mit Stellwerksberechtigung. Er beobachtet den Verkehr im Tunnel, schaut ob alles planmäßig fährt und muss bei einem Fahrtausfall durch eine technische Störung, einem Unfall, einem Wagenschaden, sofort korrigieren. Er muss Bahnen im Tunnel umleiten, sie auf Abstellgleise legen und wieder neu einsetzen. Und das so fahrgastfreundlich wie möglich.
Stopp im Tunnel
Im Tunnelbereich erhalten die Fahrzeuge rechnergesteuert ein Start- und ein Zielsignal. Diesen Bereich zwischen Start und Ziel – plus eines Schutzraumes hinter dem Zielsignal – wird Fahrstraße genannt.
Per Mausklick werden über das Zentralstellwerk bis zu 9.000 Mal pro Tag Weichen für U-Bahnen und Straßenbahnen aus der Ferne im gesamten Stadtgebiet gestellt und bis zu 24.000 sogenannte Fahrstraßen freigegeben.
„Du hast Standverkehr“, Dirk macht seinen Azubi auf eine stehende Straßenbahn im Tunnelbereich (für mich irgendwo im Essener Hauptbahnhof) aufmerksam. Die Bahn hat „Rot“ und darf nicht weiterfahren. Der sogenannte Zuglenkrechner erkennt zum Beispiel eine falsche Fahrzeugcodierung und stoppt dann durch ein Signal die Fahrt der Straßenbahn an Entscheidungspunkten im Tunnel. Sobald ein Fahrzeug in die Zugsicherung kommt, übernimmt der Stellwerker die Verantwortung für die Situation, damit im Tunnelbereich alles sicher weiterläuft. Azubi Lars und Azubi Thomas müssen innerhalb von Sekunden handeln, die Situation einschätzen und die Fahrstraße für die Tram freischalten – oder eben nicht. In diesem Fall geht’s für die Straßenbahn im Tunnel weiter – per Mausklick wird das Signal auf Grün gesetzt und der Fahrer darf die Fahrt fortsetzen.
Was ist passiert?
Im Hochsicherheitstrakt der Zugsicherung ist alles an Technik darauf ausgelegt, dass es zu keinen Störungen oder gar Unfällen im Tunnelbereich kommt. In diesem Fall hatte das Fahrzeug schlicht eine falsche Codierung, mit der der Zuglenkrechner nichts anfangen konnte. Dann ist am so genannten Entscheidungspunkt im Tunnel die Weiterfahrt zu Ende. Der Fahrer verlässt sich im Tunnelbereich auf die Signaltechnik, die zeigt „Rot“ und er hat die Tram vorschriftsmäßig angehalten. Dirk hat diesen Stopp auf dem Bildschirm gesehen. Und seine Azubis haben per Fernbedienung die Situation korrigiert.
Damit der Rechner Fehler erkennen kann, ist jedes Schienenfahrzeug ist mit einem 7-stelligen Zifferncode belegt.Ein Beispiel: 1805672 – heißt: Linie U18, Kurs 05, mit dem Ziel 67 (Mülheim a.d.R.) in 2 = Doppel-Traktion. Erhält der Zuglenkrechner am Entscheidungspunkt keine Verbindung zwischen dem Signal zur Linie und zu ihrem Ziel, stoppt er das Fahrzeug, indem er das Signal auf „Rot“ stellt.
Die Taufe – das Kind muss einen Namen haben
Die nächtlichen Werkstatt- und Testfahrten sind beendet, Arbeiten an Weichen ruhen. Denn jetzt ist Ausfahrt für den Linienbetrieb. Das Verkehrsleben erwacht, die ersten Fahrgäste warten bald auf ihre Bahn, an ihrer Haltestelle. Jeden Morgen um vier Uhr plant der diensthabende Stellwerker die Ausfahrt der Schienenfahrzeuge. Diese wurden nach Betriebsschluss abgestellt. Der erste Wagen muss auf die Strecke. Der Stellwerker weist den Fahrzeugen ihre 7-stellige Kennung für den ersten Fahrplanumlauf zu. In den Tunnelbereichen Berliner Platz und Altenessen und in der Schweriner Straße werden die Kinder aus der Taufe gehoben. „Wir nennen das schon immer taufen“, lächelt Dirk. Nur, dass jedes Kind jeden Morgen einen anderen Namen bekommt.
Das Stellwerk
Das EVAG-Stellwerk ist Zugsicherungsbereich. Voraussetzungen für die Einrichtung eines Stellwerks sind Tunnel für die Zugsicherung, Geschwindigkeiten der Schienenfahrzeuge von über 70 Km/h, die Fahrt nach Signalen und eine selbsttätige Zugortung. Im Tunnelbereich finden die Fahrten im normalen Betrieb ausschließlich nach Signalen statt.
Bei der EVAG sind es gleich fünf Stellwerke, die für sichere Fahrten im Tunnelbereich sorgen können.
Im Zentralstellwerk, integriert in die Leitstelle in der Schweriner Straße, wird, wenn alles normal läuft, der Tunnelverkehr per Mausklick und Fernsteuerung geregelt. Fällt diese Fernsteuerung aus, dann können über vier weitere Ortsstellwerke die Fahrstraßen für die Schienenfahrzeuge „gestellt“ werden, um den Verkehr aufrecht zu erhalten.
Im 24-Stunden-Schicht-Betrieb sind ein bis zwei Stellwerker verantwortlich für den sicheren Betrieb in den EVAG-Tunnelanlagen.
Zu zweit arbeiten sie bis 23.15 Uhr, ab dann bis um 4.00 Uhr in der Früh ist das Stellwerk mit nur einem Mitarbeiter besetzt.
Fast beiläufig habe ich bei meinem Besuch in der Schweriner Straße, fern der Tunnel, wieder was gelernt:
Wenn ich auf meinen Fahrten mit unseren EVAG-Bahnen im Tunnel farbige Signale sehe, weiß ich nun
H0 – heißt Rot, es gibt keine Weiterfahrt
H1 – heißt Grün, die Weiterfahrt mit Höchstgeschwindigkeit ist erlaubt
H2 – heißt Grün+Gelb, die Weiterfahrt mit 40 km/h ist erlaubt
H3 – heißt Gelb, die Weiterfahrt ist mit 20 km/h erlaubt.
Irgendwie… mache ich mir Gedanken. Zu Weihnachten bekomme ich ein Waffeleisen geschenkt. Von meiner Mutter. Ein sicheres, viele Jahre funktionierendes, elektronisches Gerät. Zuglenkrechner find ich spannender. Ganz ehrlich – ich wünsch mir wohl doch lieber eine Eisenbahn, H0, mit Weichen, einem Tunnel, Stellwerk, Trafo…
Wer noch mehr wissen möchte:
Wie sehen denn dann die Kennungen bei den Straßenbahn-Linien aus? Da passen 7 Stellen ja nicht.
Und wie funktionieren eigentlich eure Stellwerke?
Grüße
Hallo Timo, die Straßenbahn-Kennung hat ebenfalls 7 Ziffern, wobei die letzte Ziffer (hier immer die 0) automatisch vom Zuglenkrechner angehangen wird.
Deine 2te Frage ist nicht in ein paar Sätzen zu beantworten. Vielleicht hilft dir dieser Artikel schon mal weiter:
http://www.derwesten.de/staedte/essen/im-takt-eines-alternden-herzens-id7653648.html
Viele Grüße
Hallo Frau Neumann.
Ich bin der Markus Krause und ebenfalls bei der Evag (Verkehrsmeister/Leitstelle/Stellwerk).
Ich möchte an dieser Stelle mal ein Lob aussprechen. Sie haben die Funktion bzw. den Ablauf eines Stellwerks sehr gut beschrieben.
Hut ab!
Hallo Herr Krause,
vielen Dank für diese Rückmeldung, das freut mich!
Viele Grüße
Sehr spannender Artikel. Er erinnert leicht und natürlich auch nicht im Umfang an die Eisenbahn.
Klasse!
Vielen Dank für das Lob 🙂