Woanders ist auch schöner
Ich finde, wenn etwas ganz weit weg ist, dann darf man es guten Gewissens besser finden als das, was man hat. Ich als Essenerin darf also durchaus sagen, dass die U-Bahnhöfe in St. Petersburg viel prächtiger sind als die Essener. Hingegen sollte ich lieber nicht sagen, dass die U-Bahnhöfe der Bogestra schöner sind (genauso wenig, dass der Mann der Nachbarin cooler ist als der eigene. Was beides nicht stimmt, aber im Falle von Mads Mikkelsen durchaus eine leise Überlegung wert wäre, ist der Mann doch ein alter Däne und somit ganz weit weg.)
Nun aber zurück nach St. Petersburg: Ich war da und ich muss allen Cosmo- und Metropoliten dieser Welt Recht geben: Die Bahnhöfe im Petersburger Untergrund sind die allerallerbildschönsten. Mehr kann ich eigentlich gar nicht sagen. Denn etwas Besonderes erlebt habe ich dort nicht: Ich wurde weder bestohlen noch vor die Gleise gestoßen noch bin ich in der Linie 4 eingeschlafen und in Nowosibirsk wieder aufgewacht (letzteres ginge auch gar nicht).
Ich kann aber durchaus drei Superlative über die Petersburger Metro aufzählen, die ich nicht zu erfinden brauche:
1. Supertief
St. Petersburg wurde auf dem Newadelta erbaut, das zutiefst vermoort ist. Deshalb mussten die Tunnelanlangen in schwindelerregender Tiefe errichtet werden – die tiefste U-Bahn-Station Admiralteyskaya liegt über ein Hundert Meter unter der Erde. (Gott sei Dank ist Essens tiefster U-Bahnhof Berliner Platz rund zwanzig Meter unter der Erde umgeben von stabilem Fels.)
Das Metronetz von St. Petersburg ist das tiefste der ganzen Welt. Kein Wunder, dass auch die Rolltreppen die längsten sind – sie sind ziemlich steil und ebenso schnell, brauchen aber dennoch ihre Zeit. Die vier Rolltreppen der Admiralteyskaya sind jeweils 137 Meter lang. (Zum Vergleich: Die Rolltreppe zum Ruhr Museum auf Zeche Zollverein ist 58 Meter lang und damit schon die längste freistehende Rolltreppe Deutschlands. Die längste Rolltreppe der EVAG führt mit 35 Metern Länge in den Untergrund des Bismarckplatzes. Und verdammt noch mal: Es heißt nicht Rolltreppe, sondern Fahrtreppe.)
Eine Fahrt mit der Admiralteyskaya-Fahrtreppe dauert jedenfalls jeweils zwei Minuten und fünfzig Sekunden. Da versteht es sich fast von selbst, dass man rechts stehen soll, damit man links gehen kann. Missachtung wird mit bösen Blicken bestraft. Das gilt aber nur für Rolltreppe abwärts.
2. Superpreiswert
Metrofahren in St. Petersburg ist für uns – mit einem viermal so großen Durchschnittseinkommen – spottgünstig. Während man in Essen für eine Kurzstrecke – also für eine Fahrt über vier Haltestellen (inklusive Einstiegshaltestelle) – 1,60 Euro zahlt (was im europäischen Vergleich gar nicht mal teuer ist), kostet eine Fahrt im gesamten St. Petersburger U-Bahnnetz derzeit etwa sechzig Cent. Dafür darf man solange Metro fahren und die Linien wechseln, bis einem schwindelig wird. Rubel kann man allerdings nicht am Drehkreuz zur U-Bahn einwerfen – man muss sich vorher einen Jeton an der „Kassa“ besorgen. Die Dame im kleinen Kassenhäuschen macht ein sehr strenges Gesicht, das aber nichts zu bedeuten hat. Selbst das Fotografieren ist in der Metro mittlerweile erlaubt.
3. Superprunkvoll
Wer mit der roten Linie 1 fährt (eine von fünf), der kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie ist die älteste U-Bahnlinie der Stadt (Inbetriebnahme: 1955), ihre Bahnhöfe sind zugleich die prächtigsten und elegantesten von St. Petersburg, ach, von ganz Russland, ach was, der ganzen Welt. Nicht nur die rote Farbe erinnert an ihr Vorbild, die Moskauer Metro, sondern auch die imposante Architektur. Hier ein Kronleuchter, dort eine Skulptur, hie ein Relief und da marmorne Stützpfeiler. (Unsere U-Bahnhöfe, sind wir doch keine Zarenstadt, kommen dagegen weitaus schlichter daher – dafür aber ist unser Leitsystem, unser gesamtes Corporate Design fürstlich.)
Die Petersburger U-Bahnhöfe sind „Paläste des Volkes“. Der Kunde als König! Fast drei Millionen hat St. Petersburg davon. Täglich. (Also viermal so viel wie EVAG und Bogestra zusammen an einem Tag.) Zeit zum schöneren Warten haben die Petersburger allerdings nicht. Die U-Bahnen fahren im 1,5-Minuten-Takt. Wusst’ ich’s doch. Irgendeinen Haken gibt’s immer. Und Mads Mikkelsen trennt bestimmt seinen Müll nicht.