Des einen Grün ist des anderen Rot

Die Lichtsignalanlagen an der Helenenstrasse wurden optimiert und die Wartezeiten verringert.

Lichtsignalanlagen an der Helenenstraße: Hier wurden 2006 die Wartezeiten bereits verringert.

Ein bevorrechtigter ÖPNV ist schnell, attraktiv und leistet einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung von Umweltbelastungen, lautet das Mantra der Verkehrsplaner auf der ganzen Welt. Eine Straßenbahn mit 100 Menschen benötigt rund 15 Sekunden zum Überqueren einer Kreuzung. 66 PKW (1,5 Menschen pro Auto) dagegen mehrere Minuten. Auf den ersten Blick erscheint es aus Umweltsicht zwingend, und verkehrstechnisch logisch, dass Busse und Bahnen mehr Vorrang erhalten sollten.

Harte Zahlen

Also, worüber reden wir eigentlich? Zunächst das Mengengerüst. Im gesamten Essener Stadtgebiet stehen rund 639 Ampeln oder Lichtsignalanlagen, kurz LSA, im Verkehrsplaner-Sprech. An 530 dieser 639 Ampeln führen täglich 159.000 Fahrten der EVAG-Busse und -Bahnen vorbei. In diesem Jahr wurde die zweihundertste verkehrsabhängig schaltende LSA programmiert. Von diesen 200 werden 130 Anlagen per Datenfunk und 70 Anlagen über Schaltungen im Gleis beeinflusst. Also ein Viertel aller Ampeln in Essen. „Das ist schon sehr ordentlich und wurde von der EVAG seit Ende der 80er Jahre gemeinsam mit der Verkehrslenkung der Stadt Essen erreicht und wir arbeiten weiter daran“, so Pierre Hilbig, Abteilungsleiter Fahrplanung der Via Verkehrsgesellschaft. Er räumt auch ein, dass einer noch schnelleren Umsetzung die knappen Ressourcen und zu wenig Personal entgegenstehen. Seit den 80er Jahren wird bei der EVAG an den Ampelschaltungen mitgewirkt und jährlich kommen rund 15 Anlagen dazu. Bei einem Neubau oder im Rahmen einer Beschleunigung werden direkt die Steuergeräte der Ampeln mit erneuert. (Berichterstattung WAZ, 21.4.2014)

Blick auf die Pinwand der Verkehrslenkung der Stadt Essen, die in der EVAG-Leitstelle beheimatet ist.

Jeder Pinn eine Ampel: Pinnwand der Verkehrslenkung der Stadt Essen, die in der EVAG-Leitstelle am Betriebshof Schweriner Straße beheimatet ist.

Zeit ist Geld!

EVAG-Fahrzeuge kommen werktäglich rund 159.242 mal mit einer Ampel in Kontakt. Die durchschnittliche Verlustzeit beträgt 30 Sekunden an rund dreiviertel aller Ampeln. Wenn jetzt nach Adam Riese bei jeder Begegnung nur fünf Sekunden weniger Wartezeit möglich wären, dann entspräche das einem enormen  Zeitgewinn. Was soll das bringen, fragt man sich… Sind alle Ampeln auf einer Linie beeinflussbar, entsteht ein enormes Einsparpotential. Busse und Bahnen sind schneller am Ziel. Die EVAG muss weniger Fahrzeuge und Personal einsetzen. Zur Verdeutlichung: ein eingesparter Kurs, heißt übersetzt, ein Fahrzeug sowie ein Drei-Schicht-Betrieb, macht je nach Strecke und eingesetzten Fahrzeug schnell 150.000 – 200.000 Euro im Jahr aus.

Folgendes Video zeigt die Linie 106 an der H-Stelle Zweigertstraße in Fahrtrichtung Rüttenscheider Stern:

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Sparen führt doch zu Qualitätsverlust?

Durch Einrichtung von verkehrsabhängigen Lichtsignalanlagen tritt sogar der entgegengesetzte Fall ein. Die Attraktivität des ÖPNV wird gesteigert, weil die Reisegeschwindigkeit höher ist, was zu einer geringeren Reisezeit führt. Dazu werden Bus & Bahn noch pünktlicher, denn durch eine präzisere Kalkulation der Haltezeiten an den Ampeln können die Fahrtzeiten auf der ganzen Strecke und die Anschlüsse genauer berechnet werden. Also eine Win-Win-Situation würde der Controller sagen. 

Grün für Bus und Bahn und Rot für die Autos?

Die EVAG befördert jährlich 40 Millionen Arbeitnehmer am größten Arbeitsplatzstandort im Ruhrgebiet. In den 12.600 Essener Unternehmen und Konzernen mit 320.000 Erwerbstätigen arbeiten natürlich nicht nur Menschen, die mit der EVAG fahren, sondern viele davon bevorzugen das Auto. Für die können Nachteile auftreten, denn kürzere Grünphasen oder unregelmäßigere Farbwechsel führen wohlmöglich zu mehr Wartezeiten und Rückstaus für die Autofahrer.

Die Frage, die es zu beantworten gilt, lautet also in etwa: Sollen Bus und Bahn als ökologisch günstige Verkehrsmittel einen Wettbewerbsvorteil vor dem Individualverkehr erhalten oder nicht? In der Schweiz und speziell in Zürich hat man bereits länger eine Antwort darauf und verfolgt die Strategie „Wartezeit Null“ und erzielt einen Modal Split von über 40 Prozent für den ÖPNV. In Essen beträgt der Modal Split-Anteil von Bus & Bahn – also der Anteil an der Verkehrsmittelnutzung – zurzeit 19 Prozent. Die Erhöhung auf 25 Prozent ist das erklärte Ziel der Grünen Hauptstadt Europas 2017. Bei dieser Perspektive erscheint es mir ökologisch wie ökonomisch sinnvoll, wenn Busse und Straßenbahnen schneller unterwegs sind, die EVAG dadurch noch attraktiver wird und überdies weniger Fahrzeuge pro Strecke benötigt werden. Damit wären wir an dieser Stelle bei einer politischen Willensbildung und Entscheidung und nicht beim Auftrag und Handlungsspielraum der EVAG. 

2 Antworten zu “Des einen Grün ist des anderen Rot”

  1. M.D. sagt:

    Zahlreiche Vorrangschaltungen sind leider seit Jahren (!) außer Betrieb und funktionierten nur für wenige Wochen nach der Inbetriebnahme: Frintroper Str. (Im Neerfeld: Fußgängerampel), Moltkestr./Rellinghauser Str. (aus Rellinghausen kommend), wären nur zwei Beispiele, die mir spontan einfallen.

  2. Sven sagt:

    In Essen wird die Ampelvorrangschaltung mit seltsamen Attributen versehen. Im gezeigten Videobeispiel an der Zweigertstraße dauert sie aus eigener Erfahrung zu lang, während ich bei der Haltestelle Krankenhaus Stoppenberg (Linie 107) für übertrieben halte. Wenn die Straßenbahn irgendwann nach der Haltestelle Ernestinenstraße einen Kontakt überfährt (so nehme ich an), kann ich an der Fußgängerampel am Krankenhaus Stoppenberg noch so wild auf Grün drücken, weil ich mit der Bahn fahren möchte und die Ampel will einfach nicht auf Grün schalten. Ich habe so diese Art und Weise sehr oft meine Bahn verpasst, weil ich so ehrlich sein wollte und nicht bei Rot über die Ampel gehe, zumal die Essener Straße stark befahren ist.

    An der genannten Haltestelle stellt sich oftmals folgendes Szenario ein (Mo-Fr, Schulzeit): Bahn kommt vom HBF, Fußgängerampel ist rot, fährt ab. Bahn kommt aus Katernberg (Fußgängerampel immer noch rot), Bahn fährt ab. Keine zwei Minuten später kommt die E-Bahn vom Abzweig (und man steht immer noch an der Ampel und immer noch rot für die Fußgänger). Erst wenn die E-Bahn weg ist, dann schaltet sich die Fußgängerampel endlich auf grün und ich habe zwei Bahnen verpasst.

    Ich laufe dann oftmals hinter der Bahn, um dann einzusteigen, was allerdings nach Straßenverkehrsordnung rechtswidrig, denn die besagt, wenn eine Ampel in der Nähe von 200 (oder 500 Meter) ist das Überqueren der Straße für Fußgänger verboten (bzw. man riskiert eine Geldstrafe).

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Olaf Frei

22.12.2015